27. Oktober 2014, 8:05 Uhr auf einem Acker bei Krampfer in der Prignitz …
… treffen sich Andreas Osters und Christof Voß, Inhaber des gleichnamigen landwirtschaftlichen Lohnunternehmens, mit Peter Waesch, Grafikdesigner und Fotograf aus Perleberg.
Eigentlich wollte dieser nur ein paar vernünftige Fotos für die neue Firmenbroschüre schießen – und das am besten nicht im Büro, sondern draußen, wo das Leben tobt. Aber dann hatte Waesch so viele Fragen, die ihm Osters und Voß so gerne beantwortet haben, dass sich am Ende alle drei einig waren: Ein Gespräch über die Zukunft von Landwirtschaft und ländlichem Raum liest sich viel interessanter als eine gewöhnliche Firmenbroschüre. Überzeugen Sie sich selbst.
- AO Morgen, grüß dich.
- CV Morgen, Peter. Was machst du für ein Gesicht?
- Och, ganz schön frisch heute morgen.
- AO Du wolltest doch so früh.
- Schon okay, fürs Fotografieren gibt es nichts Besseres als das frühe Morgenlicht. Schau dir doch die Maschine an. Die glänzt nicht nur, weil sie neu ist. Wie heißt euer neues Spielzeug eigentlich?
- CV Holmer. Ein sechsreihiger Zuckerrübenroder, wir haben gleich zwei davon gekauft, weil er so schön ist. Nein, weil wir die Nachfrage sehen, die Rübe ist im Kommen auf unseren Standorten in Nordostdeutschland: Sie steckt die Vorsommertrockenheit gut weg und bei Spätrodung im Oktober oder November hat sie ein Ertragspotenzial, da muss sich der Mais warm anziehen. Jedenfalls für Biogasanlagen ist sie absolut konkurrenzfähig, da passt sie rein, lockert die Fruchtfolgen auf. Ich bin inzwischen ein echter Rüben-Fan.
- Kommt mir das nur so vor oder wachsen euch die Maschinen nicht langsam über den Kopf? Ich meine, ihr werdet immer kleiner im Verhältnis. Wie gigantisch werden die Dinger eigentlich noch?
- CV Keine Angst, wir drillen hier nicht so schnell mit 48 Metern Arbeitsbreite wie in Kanada oder Australien. Da ist schon das deutsche Verkehrsrecht davor oder unser Wegenetz – so groß können unsere Schläge ja gar nicht werden, dass sich das ökonomisch darstellen lässt.
- AO Aber schon irre, wenn wir zwanzig Jahre zurückdenken, wie sich die Technik entwickelt hat. Klar sind die Maschinen heute doppelt so groß wie die, mit denen wir angefangen haben. Und haben mindestens die doppelte Schlagkraft.
- Wenn ihr sagt, dass sie hier nicht endlos größer wird, wohin entwickelt sich die Landtechnik dann?
- AO Die Leistungsfähigkeit wird definitiv weiter zunehmen, nur werden es keine Quantensprünge mehr sein, eher wird an kleinen Schrauben gedreht. Vermutlich wird der Einsatz von Raupenlaufwerken und Knicklenkern noch ein Stück weit die Kraftausnutzung verbessern, das heißt gleichzeitig den Bodendruck vermindern. Potenzial sehe ich auch in der Trennung von Arbeitsgängen. Mit der Güllekette haben wir das doch jetzt schon, dass der Transport mit LKWs auf der Straße erfolgt und die Ausbringung vor Ort geruchsarm mit hocheffizienten, bodenschonenden Spezialfahrzeugen. Etwas Ähnliches ist perspektivisch auch im Mähdrusch denkbar. Ein Mehr an Schlagkraft wird in Zukunft nicht mehr so sehr durch die einzelne Maschine erreicht, sondern im System.
- CV Wobei, ich wäre ja schon zufrieden, wenn die Hersteller nach all der Leistungssteigerung intensiver über Qualität nachdenken würden. Seien wir mal ehrlich: Was uns – und unsere Kunden genauso – am allermeisten stört, ist die mangelnde Zuverlässigkeit. Wenn die Maschine zum falschen Zeitpunkt steht. Momentan wird einfach noch zu viel Technik zu früh auf den Markt geworfen, die schlichtweg nicht ausgereift ist. Der Landwirt wird zum Versuchskaninchen der Hersteller und das bei Preissprüngen von drei bis fünf Prozent per anno, da kriege ich so einen Hals.
- AO Es gibt eine weltweite Konzentration in der Branche, die uns verkauft wird mit dem Argument, jetzt wird die Forschung und Entwicklung noch besser. In Wirklichkeit wächst damit nur unsere Abhängigkeit von den Herstellern. Am liebsten hätten die den gläsernen Landwirt, der alles aus einer Hand kauft und die Preise akzeptieren muss. Wo irgend möglich, setzen wir deshalb Technik von mittelständischen Herstellern ein, die aus unserer Sicht auch viel innovativer und flexibler sind als die ganz großen Konzerne.
- CV Wie Krone. Krone ist für mich immer das Musterbeispiel, wie ich mir ein Landtechnikunternehmen wünsche: inhabergeführt, regional verwurzelt, weltweit erfolgreich und das mit dem eigentlich ganz altmodischen hohen Qualitätsanspruch an deutsche Wertarbeit.
- Der Trend zu größeren Einheiten scheint aber unaufhaltsam zu sein – genauso in der Landwirtschaft.
- CV Einspruch, hier sind die Betriebe nach der Wende erstmal gehörig kleiner geworden. Was sich im Augenblick tut, geht in die eine und die andere Richtung. Die Branche ist in Bewegung, aber daraus muss man nicht grundsätzlich einen Strukturwandel zu größeren Einheiten ableiten. Selbst im Westen, wo das noch eher stimmt, gibt es inzwischen auch gegenläufige Tendenzen. Fakt ist: größere Betriebe haben Rationalisierungsvorteile, kleinere Betriebe oftmals die höhere Flächenproduktivität. Wenn der Betriebsleiter gut wirtschaftet, haben auf jeden Fall auch kleinere Agrarbetriebe eine Chance, am Markt zu bestehen.
- In diesem Zusammenhang mal eine ganz ketzerische Frage: Wird es für euch als Lohnunternehmer nicht zum Problem, wenn Agrarbetriebe immer größer werden, also modernste Technik auch selber kaufen und einsetzen können?
- AO Na, wenn das so wäre, dann hätten wir uns ja mit den vergleichsweise großen Strukturen in Nordostdeutschland ein ganz schlechtes Pflaster ausgesucht. Haben wir aber definitiv nicht. Wir brechen Arbeitsspitzen und schließen Techniklücken bis hin zu ganzen Verfahrensketten. Das ist interessant für Betriebe jeglicher Größenordnung. Ein Lohnunternehmer muss schlagkräftig und zuverlässig sein, der Landwirt muss ihn fest einplanen können. Nur damit lässt sich langfristig Vertrauen aufbauen. Teure Maschinen kaufen kann jeder, fast jeder kriegt sie finanziert. Das Kunststück ist es, sie auszulasten, um die Kosten ökonomisch umzusetzen, und die spezialisierten Mitarbeiter bereit zu halten, das ist heute fast noch das größere Problem, um das Leistungspotenzial der Technik auch voll auszuschöpfen. Nachwuchs ausbilden, Fachkräfte binden ist für uns in den letzten Jahren deshalb immer wichtiger geworden. Ich glaube, wir haben das ganz gut im Griff. Am Ende müssen darüber unsere Kunden urteilen, ob wir gute Dienstleister sind. Aber mit groß und klein hat das erstmal rein gar nichts zu tun.
- Dem kleinen Landwirt geht es immer schlechter, der große Landwirt jammert trotzdem. So ist doch die öffentliche Wahrnehmung. Stimmt das also gar nicht?
- CV Peter, ich weiß nicht, welche Landwirte du kennst. Die ich kenne, haben meistens keinen Grund zu jammern. Sie arbeiten ja mit uns zusammen.
- AO Natürlich, es gibt vieles, worüber man sich als Landwirt furchtbar aufregen kann, absolut zu Recht übrigens, aber jammern? Man muss sich nur mal vergegenwärtigen, wo die Landwirtschaft vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren stand, als wir unsere Betriebe aufgebaut haben. Überall war zu hören: Brauchen wir in Deutschland nicht mehr. Können wir alles viel billiger auf dem Weltmarkt einkaufen, höchstens noch ein bisschen Landschaftspfleger spielen … ich hab die dummen Sprüche von damals nicht vergessen – die schlechten Preise auch nicht. In so einer Zeit bewusst in die Landwirtschaft zu investieren, war ein Abenteuer. Dazu kam für die Menschen im Osten das neue Wirtschaftssystem, für uns Zugezogene die neue Umgebung. Für uns alle war das ein riesiges Abenteuer mit ungewissem Ausgang – und wir haben es trotzdem gewagt. So gesehen stehen wir heute super da. Sicher geht es mal auf und mal ab, aber wenn man allein bedenkt, was für Vermögenswerte wir in nicht mal einer Generation geschaffen haben, dann gibt es ganz sicher keinen Grund, zu jammern.
- CV Landwirtschaft ist wieder eine ökonomische Größe, das hat inzwischen selbst der letzte Städter verstanden. Weltweit steigende Nachfrage nach Lebensmitteln, energetische Verwertung, da spielt vieles eine Rolle. Jedenfalls sind die wirtschaftlichen Aussichten nach wie vor gut. Wir produzieren Rohstoffe, die gebraucht werden. Wenn wir das in Deutschland nicht in ausreichender Menge täten, würden uns Importe aus anderen Ländern sehr viel teurer zu stehen kommen. Was mich wirklich ärgert, ist, dass die gewachsene Bedeutung der Landwirtschaft sich noch überhaupt nicht in der Gesellschaft widerspiegelt. Ich finde es unglaublich, wie abschätzig und bevormundend eine echte Zukunftsbranche nach wie vor im politischen Raum behandelt wird.
- Dabei sagt man doch immer, die Bauern hätten so eine starke Lobby. Was passt euch denn konkret nicht an politischen Entscheidungen?
- CV Ich greif mal zwei Themen raus: Energiewende und Tierproduktion. Man kann über Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen streiten, aber soviel steht fest: Mit der energetischen Verwertung haben die Preise für Agrarprodukte Anschluss an die Energiepreise gefunden, und die zeigten bislang immer nach oben, jedenfalls im langfristigen Trend. Plötzlich gab es für die Landwirtschaft Alternativen, Perspektiven – und viele Landwirte haben darauf gesetzt. Dass Deutschland es innerhalb kürzester Zeit geschafft hat, mehr als ein Viertel des Stroms aus regenerativen Energien zu erzeugen, ist eine enorme Leistung, um die uns die Welt beneidet. Und was machen wir daraus? Wir treten auf die Bremse, immer stärker. Mit dem letzten EEG wurde eine gesamte Branche plattgemacht: Zu den Vergütungssätzen wird künftig niemand mehr eine Biogasanlage neu bauen …
- Ihr müsst aber zugeben, dass Biogas inzwischen sehr umstritten ist.
- AO Ja, aber warum? Weil sich die alten Monopole, die Konzernmanager und Gewerkschaftsbosse durchsetzen konnten gegen den innovativen Mittelstand. Weil sie genug Dumme mobilisieren konnten, die uns weismachen, der Landwirt, der nicht mehr seine Milchkühe mit Maissilage füttert, sondern eine Biogasanlage, vergiftet die Umwelt. Aber das Braunkohlekraftwerk, das nebenbei ganze Landschaften endgültig ausradiert, versorgt uns alle mit preiswertem Strom. In Brandenburg plant die Landesregierung sogar neue Braunkohletagebaue – das ist doch krank!
- CV Ich will ja gar nicht pauschal alle Kritik am Biogas abbügeln. Aber wenn man die bereits entwickelte Technologie mit Verstand ausbauen würde, wäre sie die perfekte Ergänzung für die Zeiten, in denen Wind und Sonne nicht ausreichend Strom liefern. Dafür bräuchten wir entweder die Einspeisung ins Erdgasnetz oder größere Gasspeicher und Blockheizkraftwerke vor Ort, je nachdem, wo die Abwärme sinnvoll genutzt werden kann, und wir bräuchten eine Stand-by-Vergütung für diese Kraftwerke. Vor allem bräuchten wir den Willen zum Erfolg bei den Politikern, die für die Energiewende verantwortlich sind, und nicht dieses jämmerliche Einknicken vor den Interessen der großen Konzerne.
- Thema zwei, die Tierproduktion. Ich nehme an, hier meint ihr die Diskussion über Massentierhaltung, die mittlerweile Ostdeutschland erreicht hat.
- AO Die Diskussion ja, die Tiermassen haben Ostdeutschland noch lange nicht erreicht, wenn man vom Stand vor der Wiedervereinigung ausgeht. Das ist doch unser Grundproblem, dass hier die tierische Veredlung fehlt und damit Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Für die Humusbilanz behelfen wir uns mit Klärschlämmen – das ist für uns ein gutes Geschäft und funktioniert auch für die beteiligten Betriebe, völlig klar – aber wenn ich mir das Emsland anschaue, meine alte Heimat, was für einen Wohlstand die Landwirtschaft und das ganze gewerbliche Umfeld da mit Tierproduktion erzielen, davon würde ich beispielsweise der Prignitz auch ein bisschen mehr wünschen. Deshalb finde ich jedes Stallbauvorhaben erstmal grundsätzlich gut.
- CV Es muss nicht an jedem Standort und in jeder Größenordnung gut sein, diesen Diskussionen sollte man sich als Landwirt stellen. Aber was mich auf die Palme bringt, ist die grundsätzliche Ablehnung, die heute moderner Tierproduktion entgegenschlägt, als wäre es etwas Unredliches, mit Tieren Geld zu verdienen.
- AO Das fängt beim Begriff Tierwohl an. Ich finde es schon falsch, dass man sich überhaupt auf diese Diskussion eingelassen hat. Als Tierhalter bin ich existenziell angewiesen auf gesunde Tiere, also kümmere ich mich auch darum, dass diese sich wohlfühlen. Warum muss ich mir von Leuten, die noch nie versucht haben, Tiere zu halten, geschweige denn mit ihnen Geld zu verdienen, warum muss ich mir von denen sagen lassen, wo Tierwohl anfängt und wo es aufhört? Da wird auch ein Keil in die Landwirtschaft getrieben. Die einen haben Tierwohlställe, die anderen nicht. So ein Quatsch. Die Praxis verlangt nach gesunden Tieren und wenn der Verbraucher etwas anderes will, etwas Besonderes, was auch immer, vielleicht ein Tierhotel, dann soll er es bezahlen und gut ist.
- CV Immer steht der Landwirt mit dem Rücken zur Wand und muss sich rechtfertigen. Mit Tierproduktion schließen wir regionale Nährstoffkreisläufe. Mit Biogas sind wir Vorreiter einer Energiewende, die uns unabhängig macht von all den Katastrophentechnologien. In Wirklichkeit sind wir der wichtigste Wirtschaftszweig im Land, das muss den ewigen Nörglern mal gesagt werden. Es wird höchste Zeit, dass wir selbstbewusster auftreten!
- AO Dasselbe Spiel erleben wir übrigens beim Naturschutz, auch so eine Sache, wo eigentlich keiner was dagegen haben kann. Wir auch nicht. Aber wir haben was dagegen, wenn ein Haufen Schreibtisch-Naturschützer uns so lange Vorschriften macht, bis gar nichts mehr geht. Wir wollten bei einer unserer Biogasanlagen die Lagerkapazitäten für Gärreste erweitern, um immer kürzer werdenden Ausbringungszeiten zu begegnen – also eine Investition in den Umweltschutz – dann wurden auf dem Grundstück Zauneidechsen gesichtet. Am Ende hatten wir fünf Jahre Planungsvorlauf und haben einen studierten Biologen nach Stundenaufwand dafür bezahlt, dass er die Tierchen einsammelt und woanders hinbringt. Kann es vielleicht sein, dass für QM-Zertifizierung, Cross-Compliance-Kontrollen, FFH-Managementpläne und Gewässerentwicklungskonzepte mittlerweile genauso viele Leute beschäftigt sind wie in der Landwirtschaft? Ich weiß es nicht, mir kommt es nur manchmal so vor, als würden sich diese ganzen Agraraufpasser schneller vermehren als Rapsglanzkäfer. Und es gibt kein zugelassenes Mittel dagegen.
- AO Noch nicht.
- Ihr meint das so, dass man auf diesem Gebiet viele Sachbearbeiter und Fachgutachter einsparen könnte, ohne dass die Natur darunter leidet.
- AO Danke Peter, dass du uns mal wieder richtig interpretierst. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.
- Okay, dann wechseln wir jetzt mal schnell von der Politik zur Ökonomie. Der Bedarf an Agrarrohstoffen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. Nach einem Bericht der Welternährungsorganisation muss die Lebensmittelproduktion bis 2050 verdoppelt werden, um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen. Das ist eine Riesen-Aufgabe …
- CV … von der ich ehrlich gesagt nicht weiß, ob ich sie erfüllen möchte. Es ist doch eigenartig: Immer wenn es wirtschaftlich bergauf geht, sind wir Landwirte dafür zuständig, die Welt zu retten. Seltsamerweise hat sich niemand an diese unsere große Aufgabe erinnert, als wir vor einigen Jahren unseren Roggen für 7 Euro und unsere Milch für 20 Cent verkauft haben. Deshalb bin ich immer vorsichtig, wenn ich höre, die Landwirtschaft muss. Die Landwirtschaft muss gar nichts. Sie muss Spaß bringen und sie muss Geld bringen, alles Weitere ist für mich erstmal zweitrangig.
- AO Was stellen die sich eigentlich unter Verdoppelung der Lebensmittelproduktion vor? Ich habe das ja schon bei der Landtechnik gesagt, dass künftig eher an kleinen Schrauben gedreht wird. Das schätze ich mit der Produktivität ähnlich ein. Tatsächlich haben sich unsere durchschnittlichen Erträge in den vergangenen dreißig Jahren verdoppelt, bei Roggen von etwa 30 auf 60 Doppelzentner und bei Milch von etwa 4.000 auf 8.000 Liter. Trotzdem, auch ohne dass wir den alten Liebig mit seinem abnehmenden Ertragszuwachs ausgraben müssen, fällt es mir ein bisschen schwer, mir den Sandboden vorzustellen, auf dem wir 2050 satte 120 Doppelzentner ernten oder die Milchkuh, die dann 16.000 Liter gibt. Das sind alles schöne Theorien von denen, die uns was verkaufen wollen. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht weiter geht. Die Landwirtschaft in dreißig Jahren sieht anders aus als heute, vieles können wir uns noch gar nicht vorstellen. Aber wenn ich mir für die Zukunft etwas wünschen dürfte, dann dass der Wachstumsbegriff nicht verengt wird auf Doppelzentner und Pferdestärken, sondern dass vor allem die inneren Werte wachsen, Liquidität, Flächenverfügbarkeit, Mitarbeiterbindung – alles, was betriebliche Stabilität ausmacht. Da ist noch viel Luft nach oben.
- CV Ganz wichtig finde ich auch, dass sich die Landwirte ihre unternehmerische Unabhängigkeit bewahren oder sie zurückgewinnen. Hier lauern meiner Ansicht nach die größten Gefahren.
- Das wären?
- CV Wir haben eine enorme Konzentration bei unseren Marktpartnern, bei den Zulieferern genauso wie bei den aufnehmenden Händen. Über weite Strecken gibt es keinen Wettbewerb mehr. Im Lebensmitteleinzelhandel geht das so weit, dass man sich fragt, wozu überhaupt ein Bundeskartellamt da ist. Bei der Milch sind Lieferverträge ohne Preis Normalität – das würde ich schon fast als kriminell bezeichnen. Zum Glück ist uns die Gentechnik mit dem ganzen Patentrecht erspart geblieben, sonst müssten wir wie in Amerika auch noch für Saatgut Nutzungsgebühren bezahlen. Und deshalb kann ich mich auch gar nicht genug darüber freuen, dass wir uns mit der energetischen Nutzung, gleich ob Biogas oder Ethanol oder Rapsöl, zusätzliche Absatzwege geschaffen haben. Mittelfristig sind Agrarrohstoffe knapp, weltweit. Deshalb sollten die Landwirte selbstbewusster am Markt auftreten, nicht brav auf die Gutschrift warten, sondern selber Rechnungen schreiben, so wie wir das als Lohnunternehmer auch machen.
- Leuchtet ein. Und wie sieht’s morgen aus?
- AO Morgen ernten wir diesen Rübenschlag ab, heute werden wir hier sicherlich nicht mehr fertig.
- Du weißt genau, was ich meine. Morgen auf dem Land – ihr solltet doch am Ende eine Vision entwickeln für den ländlichen Raum Nordostdeutschlands, das hatten wir so besprochen.
- AO Nun bleib mal ganz ruhig. Ja, eine Vision. Wie wäre es mit noch mehr Geld verdienen – das passt doch zu uns, oder? Auf jeden Fall wollen wir hier bleiben und alt werden in der Prignitz, gesund und zufrieden. Wir wollen in einem netten Team arbeiten, natürlich mit angenehmen Kunden, die unsere Arbeit schätzen, deren Betriebe florieren, so dass wir alle etwas davon haben.
- CV Für den ländlichen Raum wäre schon viel gewonnen, wenn wir nicht mehr benachteiligt würden. Wenn endlich dieses dümmliche pseudowissenschaftliche Gelaber aufhört von den angeblich strukturschwachen, metropolfernen Regionen, wo man Kindergärten und Schulen, Polizeiwachen und Krankenhäuser, Straßen und schnelles Internet nicht mehr bezahlen kann, weil sowieso bald der Wolf kommt. Wir sind hier nicht strukturschwach, sondern produktionsstark. Auf dem Ku’damm wachsen keine Zuckerrüben, soviel steht fest. Wird in Berlin überhaupt irgendetwas produziert, was die Welt braucht? Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls, wenn sie hier alles dichtmachen wollen, sollen sie das Finanzamt gleich mit wegrationalisieren. Ein Staat, der sich eh zurückzieht aus dem ländlichen Raum, muss doch eigentlich auch keine Steuern mehr von uns bekommen, oder?
- Deine Vision?
- CV Okay, das mit dem Finanzamt war wohl eher eine Illusion.
- Also, morgen auf dem Land?
- CV Morgen auf dem Land wird zunächst dasselbe passieren wie gestern und schon vor tausend Jahren: Die Pflanzen wachsen, die Tiere fressen und wenn wir uns ein bisschen anstrengen, werden wir davon satt und haben die Hütte warm. So banal es klingt, genau deshalb ist die Landwirtschaft das Fundament jeder funktionierenden Volkswirtschaft. Wir sind der wichtigste Wirtschaftszweig.
- AO Meine Vision für den ländlichen Raum ist, dass wir in Zukunft diese Führungsrolle selbstbewusst beanspruchen, sie ausfüllen, dass wir stolz darauf sind, Landwirte oder Landbewohner zu sein, dass wir uns nicht mehr kleinmachen, nicht mehr bevormunden lassen. Wir sind Urproduktion und Hightech-Branche zugleich. Wir produzieren Rohstoffe, die jeder braucht und die niemals zu Ende gehen, solange es Sonnenschein und Regenwürmer gibt. Das macht unser System langfristig überlegen. Wir sind nicht die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen.
- CV Peter, ich sehe das Land zwischen Ostsee und Elbe als wohlhabendes, blühendes Agrarland und uns mittendrin.
- Das hast du jetzt aber schön gesagt.
- CV Danke.
Dieses Gespräch finden Sie auch in der Broschüre »Morgen auf dem Land«, die wir Ihnen gern zusenden (Bestellen).